Polar Vortex-Story: "Park's Finest"

Zunächst war „Park´s finest“, so der Name, ein Geheimtipp für die vielen Ausländer, die in den umliegenden Büros der Fluggesellschaften arbeiteten. Nach und nach entdeckten auch die Einheimischen ihre Vorliebe für Importprodukte.

Heute Morgen noch war für Eun-Ok die Welt in Ordnung. Schon bevor sie die Türen ihres Geschäfts öffnete, warteten fast dreißig Piloten der 1st Glory Wings auf dem Gehweg. Eun-Ok kannte die Jungs und freute sich, sie wieder zu sehen. Sie gehörten zu ihren Stammkunden, die mehr oder weniger jede Woche bei ihr vorbeikamen und einkauften. Ganz besonders beliebt bei den Piloten war ihr reichhaltiges Sortiment an Whiskys aus aller Welt, aber auch einheimische Spezialitäten fanden guten Absatz. Während sich also die meisten der Piloten auch gleich in Richtung der Getränkeabteilung begaben, nahm Captain Caesar, der Personaloffizier der Staffel, Eun-Ok bei Seite.


„Auf ein Wort, Eun-Ok, können wir etwas besprechen?“ Eun-Ok nickte und nahm den Captain mit in ihr Büro.

„Was gibt es denn so Wichtiges? Wollen Sie mir etwa erklären, warum sie mir heute in Vollbesetzung die Ehre geben?“, erkundigte sich die Geschäftsinhaberin, während sie für sich und ihren Gast ein Glas Scotch einschenkte.

„Ja und nein. Ehrlich gesagt, habe ich, außer dass wir heute zum Großeinkauf da sind, keine guten Neuigkeiten“, begann Caesar. „Die Staffel wird verlegt, morgen Abend sind wir weg, und wann wir wiederkommen, steht in den Sternen.“

„Skandinavien?“, fragte Eun-Ok.

„Ja. Die Nato hat uns angefordert. Es wird sicherlich Ersatz für uns kommen. Air-National-Guard in rotierender Besatzung. Ich fürchte, die werden wenig Zeit und Lust haben, sich in der Gegend umzusehen. Wenn die Jungs und Mädels überhaupt die Base verlassen.“


Die Nachricht brauchte einen Moment, bis sie in Eun-Oks Kopf vordrang. Natürlich hatte sie gehört, was im Norden Europas los war. Aber sie hätte nicht gedacht, dass die Lage so ernst war, dass die Nato dort Truppen zusammenzog. Noch weniger dachte sie daran, dass ausgerechnet aus ihrem Land Truppen abgezogen werden könnten. Sie waren schließlich keine dreißig Kilometer entfernt von der Grenze zu Nordkorea, dem unberechenbaren, nuklear bewaffneten Nachbarn, der immer wieder mit den Muskeln spielte und eine ständige Bedrohung für ihr Land war. Außerdem dachte sie an die vielen guten Kunden, die sie mit einem Schlag für eine lange Zeit verlieren würde, wenn man in der Airbase sozusagen auf Sparflamme gehen würde.


„Gibt es keine Chance, dass ihr doch da bleibt, Caesar?“

„Ich fürchte nicht. Die Warte checken gerade unsere Maschinen final durch, unser Gepäck ist schon auf dem Weg nach Europa. Wir haben nicht mehr viel Zeit.“

Eun-Ok zog die Schulten hoch und nickte traurig. „Da kann man wohl nichts machen.“


Sie nahm ihren Telefonhörer und wählte die Nummer der Spirituosenabteilung. Nach einem kurzen Wortwechsel auf Koreanisch wandte sie sich wieder ihrem Gegenüber zu.

„Damit ihr uns nicht vergesst, packe ich jedem von Euch eine Flasche Soju ein.“

Caesar lachte. „Dieses Teufelszeug!“ Er hob sein Glas und prostete der Chefin zu.

„Vielen Dank, Eun-Ok. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen.“

„Das hoffe ich auch. Auf Euer Wohl! Ich wünsche für Euch, dass Ihr alle gesund wieder nach Korea kommt. Bitte lasst uns noch ein Erinnerungsfoto vor dem Geschäft machen, wenn ihr fertig seid.“

Gute neunzig Minuten später standen dreißig Piloten der USAF bepackt mit mehr als fünfzig Tüten mit Whisky und Soju auf der Treppe vor „Park´s finest“. In der Mitte Eun-Ok, die nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie entschied sich dafür, zu lächeln. Das sieht auf einem Foto erstens schöner aus und zweitens konnte sie den Lauf der Dinge ohnehin nicht verändern. Das Dröhnen der von Kimpo Airbase aus startenden C-17 Globemaster über ihrem Kopf machte ihr dies sehr bewusst.


Vierundzwanzig Stunden später saß Bluebird im Cockpit seiner F-16 Fighting Falcon, aufgereiht auf der Startbahn 32. Gemeinsam mit dem X/O der Staffel, TheWitch, bildete er den letzten Flight. Seine Kameraden waren kurz zuvor gestartet und befanden sich bereits auf dem Weg nach Europa.


„Airforce 0411, Surface wind is 04 knots, 010.You are cleared for takeoff, runway 32 left.”, hörte er die Stimme der Controllerin Ziri in seinem Kopfhörer.

“Cleared for takeoff, runway 32 left”, antwortete Bluebird.

“Run them up 90 – release brakes in 3-2-1-now!”


Bluebird drückte den Schubhebel ganz nach vorne und mit kurzer Verzögerung begann die Pratt&Whitney-Turbofan-Turbine das fast 15.000 Kilogramm schwere Flugzeug nach vorn zu drücken. Bei 160 Knoten zog Bluebird die Nase nach oben und verließ mit TheWitch als letzte Piloten Kimpo, die Homebase der 1st Glory Wings.


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